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eine idee spriesst irgendwo, schiesst ins kraut; breitet sich aus,
springt über auf ein anderes terrain –

ein ton leuchtet auf, bringt mich und die wände in schwingung –

und plötzlich ist da musik zwischen allem und über allem –
ein dach über meinem alltagskopf.

wer weiss noch, wo der ursprung war?

das wär eine pirouette…

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Aïda Käser-Beck – Schaffensprozess

Bildschirmfoto 2016-03-16 um 17.54.06„Die vielen Motive, die ich im Laufe der Jahre notiert habe, kommen mir vor wie Keime, die zuerst längere Zeit ruhen müssen, bevor sie sich entfalten können. Etwas Grösseres entsteht eigentlich nur mit Hilfe von Themen und Motiven, die schon längere Zeit im Kasten liegen. Plötzlich kommt vielleicht ein Auftrag, der ausgerechnet dieses Thema und kein anderes, für diese Szene, für diesen Zweck oder dieses Stück braucht; und dann beginnt das Motiv zu wachsen, sich zu verändern und wird lebendig.

Die grössere Form, in die eine solche Elementarzelle eingebaut werden kann, entsteht vielleicht durch eine neue Improvisation über dieses Thema, die mein Mann aufnimmt und die ich mir dann abwechselnd geniesserisch und sehr kritisch anhöre: So kann im Laufe der weiteren Verarbeitung eine brauchbare Grossform entstehen. Das Playback brauche ich, auch mit tonbandtechnischer Verfremdung, um mehr Polyphonie hineinzubekommen, was mir oft eine Gruppe ersetzt. Wenn ich aber für eine Gruppe etwas mache, ist das Playback ein kompositorisches Mittel, das mir hilft, indem es mich zwingt, mich schnell zu entscheiden, und mir die Möglichkeit gibt, im nachhinein gute Stellen auszuwerten. Eine sehr wichtige Rolle spielt in der Verarbeitung oder vielleicht sogar bei der Entstehung der Themen meine Beziehung zur Geometrie und zur Mathematik, besonders zu allem, was mit Kurven zu tun hat, was ich sehr stark erlebe wie z.B. die Beschleunigung und Verlangsamung in einem Lift oder in einem Auto. Auch die Wiederholung von Takten oder Wiederholungen als mathematischer Prozess der Formgebung mit verschiedenen Zahlenproportionen, wobei die schönste Überraschung jedes Mal ist – da ich das ja meist nicht intellektuell abstrakt gestalte – dass ich im nachhinein diese Strukturen durchschaue und Ergebnisse sehe, die nicht zufällig sein können.

Das Prinzip der Ökonomie: wieviel verschiedene Motive kann man verwenden, die eine Einheit bilden? Eine Art Biotop. Mit wie wenig Material kann man auskommen? Soll man etwas Neues bringen oder das Alte abwandeln? Wie die Pflanze, deren Formen ja alle im Erbgut festgelegt sind, und trotzdem, wieviel Spielraum hat sie, diese Formen abzuwandeln. Und wie viel verschiedene Formen hat sie von der Wurzel bis zur Frucht, so dass sie sich nicht langweilt, auch wenn sie in Millionen von Jahren immer wieder die gleichen Formen hervorbringt? Wobei natürlich das Millieu, die Umgebung auch noch verändernd einwirkt. Die Übereinstimmung mit der Umgebung scheint mir etwas vom Allerwichtigsten zu sein. Es kann nicht irgendwelche Musik irgendwo gespielt werden, darum ist auch das Freihalten für Improvisation ein Mittel, sich einer neuen Umgebung anzupassen. Wie ein Redner, der vor einem anderen Publikum nicht unbedingt die gleichen Worte braucht für denselben Sinn.

Komponieren und Improvisieren ist für mich vielleicht so eine Art Integration der vielfältigen Lebenserscheinungen. Hier geraten wir fast ins Politische. Das Thema < Mitbestimmung am Arbeitsplatz> bedeutet für mich u. a. dass ich, wenn ich ein Stück für Interpreten schreibe, gerne möchte, dass jeder noch eine gewisse Freiheit hat, nicht nur in der Ausführung, sondern in der kompositorischen Mitgestaltung seiner Stimme.

Vielleicht ist die Musik auch ein Spiegel von gesellschaftlichen Beziehungen, insofern als dort sowohl die kleinen und untergeordneten Strukturen ihren Platz haben und ihre Funktion, als auch die grossen Formen und Überbauten, Gesetze, und die individuellen kreativen Möglichkeiten der Entfaltung die ich als improvisatorische Freiheit auch dabeihaben möchte. Musik vielleicht als Spiegel der Gesellschaft, wie sie sein sollte, wo auch Aussenseiter ihren Platz haben, wo es auch Freiräume gibt wie Leerräume, wo das Verhältnis zwischen den Einzelnen und der übergeordneten Gemeinschaft irgendwie richtig ist oder immer wieder ins Lot kommt.“

Aïda Käser Beck
aus dem Buch „Schweizer Komponistinnen der Gegenwart“ Verlag Hug 1985